Freitag, 2. August 2013

MARIA EXNER: Seid keine Merkelbürger !!!!

Angela Merkel spricht gern von der Freiheit. Aber wenn diese auf dem Spiel steht, wünscht sie sich Bürger, denen das egal ist.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)

Mit wem spricht Angela Merkel?   
In der letzten Rede, die landesweit übertragen wurde – jener zur Begrüßung von Barack Obama vor dem Brandenburger Tor – sprach Merkel sieben Minuten lang. Sechs davon drehten sich um die Teilung, den Mauerfall und das Ende des Kalten Kriegs. Merkel redete über Ereignisse, die mehr als 20 Jahre zurückliegen. Und von der Freiheit, die diese Ereignisse den Deutschen gebracht haben.  
Den Zuhörern, die sich ab und zu oder auch öfter Gedanken darüber machen, wie es um diese Freiheit heute oder gar morgen steht, sagte Merkel nichts. Innenpolitik, Außenpolitik, Wirtschaftspolitik, kein Wort davon. Die Kanzlerin hinterließ wieder einmal den Eindruck, als hadere sie mit der Gegenwart. Sie findet selten die rechten Worte für aktuelle Themen, sagt am liebsten einfach nichts und wenn doch, dann wird nicht nur das Internet zum "Neuland".   
Daran, dass diese Jetzt-Fremdheit die Kanzlerin stets etwas träge erscheinen lässt, haben viele sich in den vergangenen Jahren gewöhnt; ja viele mögen sie sogar für ihre sogenannte Besonnenheit gegenüber Dingen, die viele Menschen bewegen. Man könnte es auch Verweigerung nennen. Im Licht des Überwachungsskandals wird Merkels Distanz nun zu einem grundsätzlichen Problem. Aus der Ferne der Kanzlermacht spricht sie zu einem Bürger, von dem sich niemand wünschen kann, dass es ihn so wirklich gibt. Oder zumindest, dass er in Deutschland die Mehrheit stellt.        
Der "Wutbürger" verliert Respekt – und nun auch Rechte
Die Bundeskanzlerin ("ich warte lieber ab") und ihre Minister Friedrich ("Supergrundrecht auf Sicherheit") und Schäuble ("verstehe die Empörung nicht") möchten nicht, dass die Deutschen sich auflehnen. Selbst dann nicht, wenn deren Privatsphäre verletzt, Kommunikation ausgewertet, alle Bürger unter Generalverdacht gestellt werden. Jeder ist ein potenzieller Terrorist, nichts anderes impliziert ja das Prism-Programm, das nehmen auch die deutschen Dienste an, die sich aus der Datenmenge bedienen. Dieser Angriff auf die Grundrechte wird heruntergespielt ("es ist nicht meine Aufgabe, mich in Details von Prism einzuarbeiten"), die Gefährdung der Freiheit verleugnet. 
Den Phlegmatikern und Zynikern in diesem Land, die "das alles ja eh schon gewusst haben", gilt die ganze öffentliche Ansprache. Seligsprechung des Status Quo, nennt der Schriftsteller Ingo Schulze dieses Vorgehen. Merkels Botschaft lautet stets: Seid froh, dass es der Wirtschaft trotz Finanzkrise gut geht, der Bus pünktlich kommt und das Gymnasium nicht abgeschafft wird. Die Deutschen sollen bloß die Finger lassen von komplizierten Fragen über Recht und Unrecht, nicht das Finanzsystem, nicht das Schicksal anderer Menschen hinterfragen. Sie, Merkel, kümmere sich schon. Wer sich regt, sich engagiert, gar empört gilt als Wutbürger, verliert Respekt und nun auch Rechte.
Das ist so bitter, weil es zeigt, dass Merkel nicht verstanden hat, womit die Deutschen ihre von den Bürgerrechten geschützte Freiheit nach 1989 genutzt haben. Dass die Freiheit, die sie meint, innen hohl ist. Bei Merkel ist ein freier Bürger einer, der es sich in den herrschenden Verhältnissen so angenehm wie möglich macht. Der den Konflikt scheut, keinen Mut zur Bewährung, wenig Willen zur Veränderung hat.   
Doch was ist mit denen, die sich austauschen, einmischen, Dinge selbst verstehen und einschätzen wollen? Für die Freiheit Mündigkeit bedeutet, im Gegensatz zur Unmündigkeit des Bürgers einer Diktatur. Was ist mit denen, die kosmopolitisch leben und denken? Die biografisch oder mit einem Teil ihres Denkens in den USA, in Südamerika, in Asien, Afrika, im Nahen Osten, in Iran oder in Pakistan zu Hause sind? Die in großen Teilen online leben und damit unter Beobachtung stehen? Was ist mit denen, die den Krieg gegen den Terror für fatal halten und nicht daran glauben, dass die Welt vor Muslimen geschützt werden muss? Wer so etwas öffentlich sagt, auf Facebook, auf Twitter, taucht vielleicht in einer digitalen Akte auf. Wer häufig in bestimmte Länder reist, bestimmte Blogs liest, bestimmte Meinungen vertritt, dem könnte eines Tages eine Einreise oder Ausreise verwehrt werden. 


Auf wen auch nur ein einziger der genannten Aspekte zutrifft, der wird von Merkel ignoriert. Die Bundeskanzlerin spricht nur zu einem Bürger, den sie mit der Phrase abspeisen kann, dass "auf deutschem Boden deutsches Recht" gelte. Jemand, der das Internet schon lange verdächtig findet und im Stillen denkt: Wen es durch die Überwachung erwischt, der wird es schon verdient haben.    
Merkels Antwort auf die Finanzkrise lautet bis heute: marktkonforme Demokratie. Ihre Antwort auf die Prism-Affäre: systemkonforme Bürger. Aber wollen wir diese Bürger, diese Deutschen, wirklich sein?      

MARIA EXNER

Dienstag, 25. Juni 2013

Selten wurden wir vor einer Wahl so getäuscht

30.05.2013 - 11:09 Uhr

Text von Wolfgang Lieb


Merkel und Ihre Wahlkampfstrategen lassen keine Gelegenheit aus, wo die kalte und machtbesessene Kanzlerin sich nicht in ein menschlich-sympathisches Licht rücken und nicht systematisch an einem Anschein arbeiten kann, der ihr tatsächliches politisches Handeln verdeckt, ja geradezu darüber hinwegtäuschen soll.
Merkel lenkt mit ihren öffentlichen Auftritten geplant von den Folgen ihrer Politik ab. Sie verkohlt die Wählerinnen und Wähler und sie lässt mit Hilfe von willigen Medien ein Bild von sich und ihrer Politik malen, das mit ihrem vorausgegangenen politischen Handeln nichts zu tun hat, vielmehr erkennbar davon abzulenken versucht, ja noch mehr, eine bewusste Täuschung ist. Von

„In mehr als zwei Jahrzehnten Politikbeobachtung habe ich niemals einen derart eklatanten Widerspruch erlebt zwischen dem Image einer politischen Persönlichkeit und ihrer tatsächlichen Politik. Nie ist es einem Politiker in Deutschland gelungen, derart konsequent auf Kosten der Mehrheit zu handeln und zugleich die Sympathie dieser Mehrheit zu gewinnen“, schreibt Stephan Hebel im Vorwort zu seinem im Westend Verlag erschienenen Buch „Mutter Blamage“.

Wie recht Stephan Hebel mit diesem Urteil hat, konnten wir zumal in den letzten Monaten beobachten.


Am letzten Samstag saß Merkel mitten unter den obersten Fußball-Funktionären in der ersten Reihe im Londoner Wembley Stadion. Das Fernsehen hatte vor einem Millionenpublikum offenbar keinen prominenteren Tribünengast zu bieten und nach dem Spiel herzte Merkel vor aller Welt jeden Spieler, der sich ihrer Umarmung nicht entziehen konnte. Mehr Publicity geht nicht.


Quelle: Bild.de

Kurz zuvor, am selben Tag, ließ Merkel sich auf der Bundestagung der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) als „Simply the best“ feiern und schlug dem Arbeitnehmerflügel der CDU unter anderem mit dem Winkelzug ein Schnippchen, indem sie verkündete, sich nach der Bundestagswahl in möglichen Koalitionsverhandlungen für tarifliche Mindestlöhne stark machen zu wollen. Warum eigentlich nicht schon jetzt?


Quelle: CDA-Bezirksverband Münsterland

Zum gleichen Zeitpunkt ließ die Kanzlerin ihr regelmäßiges Video, diesmal zum „6. Integrationsgipfels“ ins Netz stellen. Sie verlor viele Worte über Vielfalt und Integration, lehnte aber gleichzeitig den „Doppelpass“ und das Wahlrecht für Zugewanderte ab. Mit der Ablehnung der doppelten Staatsangehörigkeit hatte schon 1999 Roland Koch im hessischen Landtagswahlkampf am rechten Rand und bei den Kleinbürgern gepunktet.

Auch das Thema Umweltschutz musste natürlich besetzt werden. Und das gleich mit drei bilderreichen und leutseligen Ereignissen:

  1. Im Kanzleramt traf Merkel Hamburger Schülerinnen und Schüler sowie Mitglieder der Naturschutzjugend Deutschland (NAJU) zum „Dreck-weg-Tag“ zusammen. Populistischer geht es kaum noch.

    Quelle: Die Bundesregierung


  2. Merkel machte einen Ausstellungsrundgang auf der „Internationalen Konferenz Elektromobilität“ und kündigte in einer – natürlich von Phoenix live übertragenen – Rede für das Jahr 2020 eine Million Elektroautos an. Die Autofahrer werden elektrisiert aufmerken.


    Quelle: Bundesregierung


  3. Und dann hat die Kanzlerin den von den Nazis als „Kraft-durch-Freude-Seebad“ errichteten Baukoloss „Prora“ auf Rügen noch zum Naturerbe erklärt. Man braucht schließlich auch Wählerstimmen im Osten Deutschlands.


    Quelle: Bundesregierung

Die angeblich „sozialdemokratisierte” Kanzlerin ließ es sich nicht nehmen, ihr Herz für die SPD zu zeigen und nahm am Festakt zum 150-jährigen Jubiläum im Leipziger Gewandhaus teil und zollte dabei artig „Respekt und Anerkennung“.


Obwohl wegen des Widerstands von Österreich und Luxemburg auf dem letzten Europäischen Rat nichts Konkretes beschlossen wurde, sprach Merkel anschließend von einem „klaren Signal gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung“ und versuchte damit die Blamage mit der „erkauften Amnestie“ für Steuerbetrüger mit dem nur am Bundesrat gescheiterten deutsch-schweizerischen Steuerabkommen vergessen zu machen.


Quelle: Bundeskanzlerin.de

Am Donnerstag letzter Woche fand sie sogar noch einen passenden Termin, zu dem ihr die Ehrendoktorwürde in Nimwegen verliehen werden konnte. Ein schönes Bild, nachdem der Kanzlerin zwei Kabinettsmitglieder wegen Plagiaten bei ihren Doktorarbeiten abhandengekommen sind.


Quelle: Rheinische Post

In ihrer „Gipfelmanie“ ließ sie natürlich auch den von ihrer Regierung inszenierten „Demografiegipfel“ nicht aus. Da kam zwar auch nichts bei heraus, aber die Kanzlerin konnte mal wieder die Ängste vor einer Alterung der Gesellschaft schüren und dabei die angebliche Notwendigkeit der „Reformen“ bei den Sozialsystemen rechtfertigen. Und dann gab es ja auch noch ein Bild mit dem DGB-Vorsitzenden, sozusagen unter den Seinen.



Quelle: Bundesregierung

Passend zum Pfingstfest suchte Merkel um eine Privataudienz beim neuen Papst nach und das, obwohl sie dem neu gewählten Oberhaupt der katholischen Kirche schon im März die Hand schüttelte und ihn zur Freude aller Katholiken zu einem Besuch nach Deutschland einlud. Sie versuchte dabei auch noch nebenbei ihren Lapsus mit der „marktkonformen Demokratie“ vergessen zu machen und ließ sich mit dem Satz zitieren “Die Wirtschaft ist dazu da, dass sie dem Menschen dient”.


Quelle: Bundesregierung

Mit dem privaten Kinobesuch „Die Legende von Paul und Paula“ lächelte Merkel locker die aufgekommene Diskussion über ihre Vergangenheit als frühere „FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda“ weg.


Quelle: Bundesregierung

Damit war aber mit dem „Menscheln“ nicht genug, die Frauenzeitschrift Brigitte bot ihr die Plattform, sich als fürsorgliche Mutti zu präsentieren und damit ihr Bild von „Europe`s most dangerous leader“ (New Statesman http://www.newstatesman.com/blogs/media/...) weg zu polieren.


Quelle: Bundesregierung

Sinnig zum Muttertag besuchte „Mutti“ (Bild) in geheimer Mission und passend im Khaki-Anzug zum Fotoshooting die Soldaten in Afghanistan und gedachte rührselig der gefallenen Kameraden.


Quelle: Bundesregierung

Um den Streit um die Frauenquote in der CDU/CSU und das blamables Hinausschieben bis zum Sankt Nimmerleinstag irgendwann im Jahre 2020 zu kaschieren, hat Merkel hundert Frauen in Führungspositionen im Kanzleramt belächelt.


Quelle: Bundesregierung

Man könnte mit solchen Auftritten beliebig fortfahren. Und diese Aufzählung enthielt nur die publikumswirksamsten Auftritte allein im Monat Mai.

Wenn man den Terminkalender der Kanzlerin auch der vorangegangenen Monate einmal durchgeht, dann fragt man sich, wann die Kanzlerin eigentlich noch ihre Regierungsarbeit nachgehen kann – das geht eigentlich nur noch im Schlaf.

Aber diese Frage ist naiv. Es geht den Wahlstrategen im Kanzleramt und in der CDU-Parteizentrale nicht um Regierungshandeln, sondern gerade umgekehrt darum, die praktische Politik der Kanzlerin in Deutschland und Europa während der zu Ende gehenden Legislaturperiode mit schönen Bildern zu überdecken, die wirksamer sind als alle geklebten Wahlplakate.

Es ist zwar legitim, dass eine amtierende Kanzlerin ihren Kanzlerbonus im Wahlkampf nutzt. Das haben alle Kanzler vor ihr auch getan. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass dies jemals so schamlos penetrant inszeniert worden ist.

Man könnte vielleicht auch noch einwenden, was Rösler (siehe seine USA-Reise und seine innige Freundschaft mit dem nach dem Abschuss von Christian Wulff ins Abklingbecken abgeschobenen Bild-Chefredakteur Kai Diekmann)



Quelle: t-online.de

und Brüderle für die FDP, Steinbrück für die Sozialdemokraten, Trittin oder Göring-Eckardt für die Grünen recht ist, kann Merkel nur billig sein. Doch billig ist es gerade nicht, wenn die Kanzlerin im Kanzlerjet und Hubschrauber quer durch die Republik, Europa und die Welt fliegt und dabei jeweils einen Haufen hofberichterstattender Journalisten mit ins Gepäck nimmt. Das ist nichts anderes als Wahlkampf auf Steuerzahlerkosten und zum Nachteil von Parteien, die gegen sie um die politische Macht konkurrieren, aber eben nicht den geballten Regierungsapparat und die entsprechende Logistik zur Unterstützung für ihren Propagandafeldzug haben.

Man könnte vielleicht sogar noch über diese Eigenwerbung auf Staatskosten hinweg sehen, wenn Merkel mit ihrer PR-Kampagne über ihre Politik informieren und die Bevölkerung über ihr Regierungshandeln aufklären würde. Aber – wie nicht nur die oben aufgeführten Termine zeigen –gerade das Gegenteil ist der Fall. Merkel lenkt geplant von den Folgen ihrer Politik ab. Sie verkohlt die Wählerinnen und malt mit Hilfe von willigen Medien ein Bild von sich und ihrer Politik, das mit ihrem politischen Handeln nichts zu tun hat und sogar erkennbar davon abzulenken versucht, ja mehr noch, ein reines Betrugsmanöver darstellt.

Hätte nur ein verantwortlicher Redakteur einmal die Terminvorschau der Kanzlerin oder die von der Bundesregierung selbst veröffentlichten Bilderketten angeschaut, dann hätte er doch mit der Nase darauf stoßen müssen, dass es dabei nicht mehr um Politik sondern ausschließlich um Imagepflege geht. Es hätte von der „vierten Gewalt“, die sich doch so gerne ihrer „Wächterrolle“ rühmt, massive Kritik oder wenigstens Spott hageln müssen über so viel Dreistigkeit und penetranter Schönfärberei.

Es kann mir niemand vormachen, dass das Gaukler-Spiel von Merkel und ihrem Stab nicht durchschaubar wäre. Nein, die meisten Medien spielen dieses Spiel sogar mit. Demokratie wird so zur „Mediokratie“ (Thomas Meyer), die – jedenfalls bei uns in Deutschland – keine andere Funktion mehr hat, als die herrschende Macht und damit die Macht der Herrschenden zu erhalten. Merkel soll eben nicht nur laut Forbes-Wirtschaftsmagazin die „mächtigste Frau der Welt bleiben!


Text von: Wolfgang Lieb

Stephan Hebel - "Mutter Blamage" - die Chamäleon-Kanzlerin I I

06.03.2013 - 02:21 Uhr






Interview Patrick Schreiner mit Stephan Hebel:

Ihr aktuelles Buch trägt den Titel: “Mutter Blamage. Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht” (bol.de, thalia.de). Weshalb glauben Sie, dass Bundeskanzlerin Merkel sich blamiert hat? Ihre Politik der Krisenbekämpfung scheint bei den Menschen doch gut anzukommen, sieht man sich ihre Beliebtheitswerte an…

Stephan Hebel: Ich fange mal mit dem an, was ich mit Blamage NICHT meine: Gemessen an ihren eigenen Zielen und der Strategie, mit der sie sie verfolgt, hat sich Angela Merkel nicht blamiert. Im Gegenteil: Sie hat damit – leider, wie ich finde – Erfolg. Allerdings blamiert sie meiner Meinung nach gerade deshalb das Land, dem sie zu dienen hätte. Sie blamiert sich und uns alle, indem sie Deutschland zum neoliberalen Lehrmeister Europas macht und dabei Schaden nicht nur für andere in Kauf nimmt, sondern auch für Deutschland.

Sie tut das zum Beispiel, wenn sie die europäischen Exportmärkte, von deren Schulden unsere Wirtschaft jahrelang profitierte, dazu zwingt, sich  kaputtzusparen. Das wird auf uns zurückfallen, sobald China, die USA und einige Schwellenländer an Importkraft verlieren sollten. Und sie blamiert sich – durch Nichtstun – angesichts der ökonomischen und sozialen Herausforderung, durch echte Mindestlöhne und andere soziale Verbesserungen für mehr Gerechtigkeit und zugleich für eine bessere Binnennachfrage zu sorgen. Nur damit nämlich würde die gefährliche Exportabhängigkeit Deutschlands reduziert.

Warum brauchen wir Angela Merkel und ihre Politik nicht?

Stephan Hebel: Zum einen aus den eben genannten Gründen. Zum anderen halte ich einen echten Richtungswechsel für notwendig. Denn auch wenn Merkel so tut, als sei sie für alle da, bedient ihre Politik fast mustergültig den Ideologie-Mix aus gesellschaftlichem Konservatismus und wirtschaftlichem Marktliberalismus: Während sie in der Wirtschaft – entgegen dem erweckten Anschein – die freie Entfaltung des Kapitals wo immer möglich unterstützt, betreibt ihre Regierung gesellschaftspolitisch die alte Politik des paternalistischen Sicherheitsstaates.

Sie fordern einen Richtungswechsel. Gibt es in Deutschland denn aber überhaupt so etwas wie Wechselstimmung, oder wünschen die Menschen nicht eher so wenig Veränderung wie möglich? Immerhin hat selbst die SPD einen Kanzlerkandidaten bestimmt, der nicht gerade für einen radikalen Richtungswechsel steht…?

Stephan Hebel: Ihre Frage hat zwei Teile, erstens die Stimmung und zweitens den Steinbrück. Zunächst zur Wechselstimmung: Ja, die ist nicht gerade ausgeprägt – aus meiner Sicht nicht zuletzt eine Folge der gelungenen Merkel’schen Verschleierungsstrategie. Allerdings, auch wenn ich das Ergebnis der Niedersachsen-Wahl keineswegs für einen triumphalen rot-grünen Aufbruch halte: Immerhin konnten wir dort sehen, dass es mit Glück funktionieren kann, wenn sich die Alternativen im Wahlkampf einigermaßen klar gegenüber stehen.

Auf der Bundesebene allerdings, und damit sind wir bei Steinbrück, ist eine rot-grüne Machtperspektive weit weg: Hier wird die Linkspartei es wohl schaffen, und wer mit ihr partout nichts zu tun haben will, vermittelt die Botschaft: Es wird dann sowieso wieder Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün, jedenfalls Merkel. So befördert man den Wechsel nicht.

Sie haben Recht, dass Steinbrück nicht gerade einen radikalen Richtungswechsel verkörpert. Er hat allerdings den Vorteil, auch im “bürgerlichen Lager” ein paar Stimmen abzugreifen, vorausgesetzt, er findet zurück zur Seriosität. Und: Personen sind nicht alles! Entscheidend wird meines Erachtens sein, dass Sigmar Gabriel ihn erfolgreich auf die wichtigsten Reformthemen der SPD verpflichtet – bei Steinbrücks Krönungsparteitag hat das ja schon mal ganz gut funktioniert. Ich weiß nicht, wie konsequent eine Regierung Steinbrück dann die politischen Alternativen vertreten würde, zum Beispiel bei Regulierung und Sozialpolitik. Aber ich werde nicht das Schlimmere wählen, weil mir das Bessere nicht gut genug ist und das Beste – ich gebe es zu – auch aus diesen Wahlen kaum hervorgehen wird.

Betreibt Merkel wirklich, wie oft behauptet wird, eine Sozialdemokratisierung ihrer Partei?

Stephan Hebel: Nein. Zwar gibt es einige Punkte, an denen die Kanzlerin sozialdemokratische Programmpunkte übernimmt – allerdings eher symbolisch als konsequent, wie ich in meinem Buch zu zeigen versuche. So redet sie von Mindestlohn und meint doch nur eine Untergrenze, die von Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgehandelt wird und deshalb genau da, wo Gewerkschaften schwach sind, wenig hilft. Sie redet von Regulierung und geht doch nur gerade so weit, wie der gesellschaftliche Druck nach der Finanzkrise es unausweichlich erscheinen lässt. Weitergehende Vorschläge werden vom Tisch gewischt. Und die so häufig zitierte Familienpolitik beugt sich nicht nur gesellschaftlichen Notwendigkeiten, sondern auch dem Druck der Unternehmen, die die Frauen derzeit für den Arbeitsmarkt brauchen – von der Milliardenverschwendung namens “Betreuungsgeld” ganz zu schweigen.

Manches sieht also auf den ersten Blick “sozialdemokratisch” aus und dient doch vor allem dem Zweck, die Öffentlichkeit zu täuschen und damit der jetzigen Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dass dabei auch mal “Gutes” herauskommt, bestreite ich nicht. Allerdings handelt es sich dabei um den – viel zu kleinen – “Kollateralnutzen” einer insgesamt neoliberalen Politik.

Was können wir von Merkel und ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble für die Zeit nach den nächsten Bundestagswahlen erwarten, wenn sie an der Regierung bleiben?

Stephan Hebel: Schäuble hat bereits Ende des Jahres 2012 angedeutet, wo es hingehen könnte: weitere Heraufsetzung des Renteneintrittsalters, weniger Geld für Frührentner, höhere Mehrwertsteuer auf Güter des Grundbedarfs wie zum Beispiel Lebensmittel. Und er hat gleich auch den inzwischen salonfähigen Griechenhass bedient, indem er diese Dinge mit den Kosten der Euro-Rettung begründete. Die Finanzierungs-Alternative – große Einkommen und Vermögen durch höhere Steuern stärker heranzuziehen – können wir zugleich vergessen, sollte die schwarz-gelbe Regierung es wieder schaffen. Aber sind wir wirklich so dumm, die zunehmende soziale Ungerechtigkeit – ungleiche Vermögensverteilung, ausufernder Niedriglohnsektor bei steigenden Spitzeneinkommen – bei uns und anderswo hinzunehmen, ohne die wirklich Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft zu ziehen? Ich will es nicht glauben.

(annotazioni.de)

Stephan Hebel - "Mutter Blamage" - die Chamäleon-Kanzlerin

06.03.2013 - 02:16 Uhr


„Mutter Blamage“ ist ein schwacher Titel für ein starkes Buch. Denn dieses Buch handelt einerseits vom totalen Versagen einer Kanzlerin auf allen wichtigen Politikfeldern (Steuer-, Sozial-, Arbeitsmarkt- und, gravierend, der Euro-Krisenpolitik) - überzeugend belegt mit Fakten und Nachweisen. Und andererseits von ihrer besonderen Begabung, dieses tatsächliche Versagen in persönliche Wertschätzung und hohe Sympathiewerte zu verwandeln - also dem Phänomen Merkel, das sich offenbar nur dem erschließt, der sich nicht von ihrem Habitus und ihrer unprätentiösen Rhetorik blenden lässt, sondern die Ergebnisse Ihres Tuns betrachtet. Dann erst zeigen sich die zwei Seiten ein und derselben Person. Davon handelt dieses Buch. Sichtbar wird eine Kanzlerin, die verdeckt aber zielstrebig, und, wo es sein muss, eiskalt ihre Ziele verfolgt: persönlicher Machterhalt, Stärkung der Finanz- und Machtelite, Schwächung der Arbeitnehmer und des Staates, Abbau der Sozialstaatlichkeit, Abbau der Mitwirkungsrechte des Parlaments. Ein umfangreiches Kapitel widmet sich ihrer Euro-Krisenpolitik: ihrem national-egoistischen Charakter, ihrer neoliberalen Ziele, ihren verheerenden Folgen – für die europäische Idee und die Europäer selbst, die Menschen, am Ende auch für uns selbst.
„Mutter Blamage“ ist ein Appell, genau hinzusehen, hinter die Fassaden zu schauen, sich nicht vom gefälligen Eindruck und den Meinungsmachern manipulieren zu lassen. Nur die Tatsachen sprechen zu lassen, auch, wenn sie einem nicht zusagen. Wie in diesem Fall.
Worum es geht, wird schon in der Einleitung des Buches deutlich ausgesprochen: Es möchte im Jahr der Bundestagswahl dem Image der Superkanzlerin sachliche Argumente entgegenstellen. Es möchte all jene bestärken, die sich schon jetzt unbehaglich fühlen angesichts der Schönrednerei, mit der uns die Kanzlerin und ihre Entourage umgarnen. Und es möchte für Alternativen zu einer Politik werben, die auf Dauer Deutschland ungerechter macht und die gemeinsame Zukunft Europas verspielt.

Aber wie schafft es Frau Merkel, so beliebt zu sein? Der Autor schreibt: " Sie bejubelt die sinkende Arbeitslosigkeit und schweigt über die Tatsache "Armut trotz Arbeit", sie erfindet "Lebensleistungsrenten", hinter denen sich kaum mehr als ein Almosen verbirgt, sie rühmt sich der Euro-Rettung und schweigt über den Preis, den andere europäische Völker gerade und das deutsche Volk in der Zukunft zahlen müssen."

Fazit: Man muss nicht jeden politischen Standpunkt des Autors teilen. Er ist im politischen Spektrum eher links verordet. Aber das Buch zeigt sehr gut, worauf das erfolgreiche "System Merkel" basiert: auf der weitgehenden Unkenntlichkeit der eigenenen politischen Absicht, der vermeintlichen Überparteilichkeit und der selektiven Selbstbedienung bei der Programmatik fast aller Parteien. (Soziale Gerechtigkeit, Energiewende usw.) Dies alles dient ihr nur einem Zweck: sich für alle wählbar zu machen - weit über die eigene Klientel hinaus.
(OLDMAN/Falk Müller)

Causa Schavan: Dank an Angela Merkel!!!

12.02.2013 - 12:07 Uhr 



Folgender Kommentar von Michael Jensen bringts auf den Punkt!!

"...Wir können Angela Merkel für ihr volles Vertrauen zu Frau Schavan während des letzten Jahres sehr dankbar sein. Sie hat es ermöglicht, dass sich all diese unerträglichen Wissenschaftsfunktionäre selbst in der Öffentlichkeit bloßstellen konnten. Es haben sich ihre falschen Maßstäbe, ihr unsäglicher Opportunismus sowie das Fehlen taktischen und strategischen Geschicks gezeigt. Wir wissen die Forschung (= Zukunft) des Landes in guten Händen.
Einige haben in den letzten 15 Jahren, seit sich Frau Schavan auf Ministersesseln befand, besonders gelitten, wenn sie den systematisch betriebenen Abbau in Forschung und Lehre jeden Tag sehen mussten...."


http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/der-fall-schavan-die-massstaebe-der-wissenschaftsfunktionaere-12057121.html